IMG_20230111_120014_cr.jpg
Fotos: Sabeeka Gangjee-Well/Nicole Grün

Es gibt etwas, das der 69-jährige Musiker Hans Well den meisten Menschen voraushat: „Ich kann mir immer sofort vorstellen, wie ein heruntergekommenes Haus ausschauen wird, wenn es fertig restauriert ist.“ Diesem außergewöhnlichen Vorstellungsvermögen verdanken mittlerweile acht jahrhundertealte denkmalgeschützte Häuser ihren zweiten Frühling. Denn man brauchte schon viel Fantasie, um in den halb verfallenen Gemäuern etwas anderes als Abrisskandidaten zu sehen. Der inmitten malerischer Voralpenlandschaft gelegene, rund 450 Jahre alte Einhof „Brui“ im oberbayerischen Klosterdorf Polling wurde nur noch von einem Stahlseil zusammengehalten, als Well sich seiner annahm. „Hätte man die Konstruktion durchgeschnitten, wäre das Haus sofort zusammengefallen.“ Doch derartige Lappalien schrecken den Häuserretter nicht ab: „Für mich ist das eine Herausforderung.“ Ein Kleinbauernhaus in Dießen am Ammersee war 20 Jahre lang zum Abbruch freigegeben, bevor Well es in nur einem Jahr zum Ferienhaus umbaute. „Well, ist das Ruine genug für Sie?“, fragte ihn der Denkmalpfleger, der ihn auf das Haus aufmerksam machte. Well schlug zu. „Ich will den Leuten zeigen, dass man so etwas herrichten kann. Klar ist das mühsam, aber es lohnt sich. Jedes dieser alten Häuser hat eine unverwechselbare Ausstrahlung. In ihnen fühlt man sich einfach sauwohl.“ Da hat Well recht: All seine Objekte sind Kleinode mit der richtigen Mischung aus alt und modern, Neubaustandard kombiniert mit dem Charme alter Häuser, bei denen man sich nicht an Unebenheiten stören darf, denn: „In so einem alten Haus ist nichts gerade«, wie Well bemerkt.

Vor 35 Jahren nahm seine ungewöhnliche Leidenschaft ihren Lauf: Damals sanierte er sein erstes denkmalgeschütztes Haus in Türkenfeld vor den Toren Münchens, das er heute noch mit seiner Frau bewohnt. Von Anfang an arbeitete er neben seinen Engagements als Kopf der bayerischen Musik- und Kabarettgruppe „Biermösl Blosn“ voll mit auf seinen Baustellen. „Das ist ganz wichtig für die Handwerker, das motiviert, es geht schneller vorwärts, man spart sich eine Menge Geld und ist immer da, wenn ein Problem auftaucht.“ Aber es war nicht immer ungefährlich: Während seines ersten Umbaus trat er sich auf der Baustelle einen rostigen Nagel ein – just zu der Zeit, als er mit zwei Brüdern und den Kabarettisten Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt in den Münchner Kammerspielen auftrat. „Das war schwierig für die Produktion, alle Vorstellungen waren ausverkauft. Dem Intendanten Dieter Dorn musste ich deshalb versprechen, dass ich während der Spielzeit keine Baustelle mehr betreten darf.“

Wohnzimmer IMG_7888-min.jpeg
Treppenaufgang IMG_7848-min.jpeg
Küche IMG_8071-min.jpeg

Die richtige Mischung aus alt und modern
Der ehemalige Kuhstall mit seinem Kappengewölbe wurde zu einer 80 Quadratmeter großen Luxusküche umfunktioniert, die Tenne mit Galerie bildet das lichtdurchflutete Herzstück des Hauses. Altes mit modernen Bau- und Designelementen zu verbinden, das ist Hans Wells Erfolgsgeheimnis

Ums Geld ging es nie

Gebremst hat Well diese Erfahrung indes nicht. Es folgten eines der ältesten Häuschen im Landkreis Landsberg, zwei weitere historische Häuser in Türkenfeld, zwei Denkmäler am Ammersee, ein historisches Herbergshaus in München, in dem nun seine drei Kinder wohnen, und das Braumeisterhaus in Polling. Einige davon werden nun als Ferienhäuser vermietet. Die ersten Häuser musste er verkaufen, „ich arbeitete unterm Strich für einen Stundenlohn von fünf Mark, wenn es hochkommt“, erzählt Well schmunzelnd, der aus einer musikbegeisterten Familie mit 15 Kindern kommt. „Ich musste mir alles selbst erarbeiten. Aber es ging mir nie darum, mit den Häusern Geld zu verdienen, ich habe nur verkauft, um Geld zu haben für die nächste Ruine.“

Die Rettung der Denkmäler ist für Hans Well eine Herzensangelegenheit. „Sie sind die Visitenkarte der Dörfer und nicht nur ein Spiegel der Dorfgeschichte, sondern auch der Bau- und Sozialgeschichte“, beschreibt Well.

Das Motto: Wiederverwenden, nicht wegwerfen

Für den umweltbewussten Heimatbewahrer ist ein Abriss zudem eine unnötige Ressourcenverschwendung. Er ist überzeugt: „Es gibt kaum ein besseres Beispiel für Nachhaltigkeit als ein saniertes, denkmalgeschütztes altes Haus.“ Zumindest, wenn man saniert wie Hans Well: Alles, was sich irgendwie erhalten lässt, wird erhalten – auch im „Brui“, das mit „Bräu“ übersetzt werden kann und so heißt, weil hier einst der wohlbetuchte Braumeister des Dorfes wohnte. Von den über 30 originalen Innentüren sind bis auf zwei alle restauriert worden – jede Einzelne ein Unikat. Die 200 Jahre alte Kassettendecke des Empfangsraums war braun-schwarz, bevor Well sie nach Absprache mit einem Restaurator mit einem Spiritus-Wasser-Gemisch abwusch und wieder die natürliche Bierlasur zum Vorschein kam. Drei lange Jahre haben er, seine Familie und die Handwerker seines Vertrauens für die Sanierung des 350 Quadratmeter großen Hauses gebraucht, das mit seiner Wärmepumpe und der Wand- und Fußbodenheizung den Niedrigenergiestandard erfüllt. „Dafür ist der Brui bis jetzt das bestgelungene Haus, das ich gemacht habe“, meint Well. Das Highlight ist die ehemalige Tenne, die zu einer Galerie mit frei liegenden Balken umgebaut wurde, mit Spotlights an der Decke und solarbetriebenen Dachfenstern. Dass Well aus ihr erstmal zehn Container verrottetes Heu und Stroh rausschaffen musste, kann man sich kaum vorstellen.

„Alles, was ökologisches Bauen, Renovieren und Sanieren betrifft, habe ich mir im Laufe der Jahre selbst angeeignet – vor allem durch Fehler habe ich viel gelernt“, gesteht Well. Sein Expertenwissen in Sachen Denkmalsanierung ist gefragt: Sogar Architekten bitten ihn um Rat. „Es braucht Fantasie, Bereitwilligkeit und Lust, um alte Häuser herzurichten. Und die hatte ich immer.“ Hatte, denn er musste seiner Frau versprechen, kein altes Haus mehr zu kaufen. Auch er selbst zeigt sich einsichtig: Mittlerweile tourt er mit seinen Kindern als „Hans Well & Wellbappn“ durch ganz Deutschland, „da wird die Baustellenarbeit neben dem Musikspielen langsam sehr anstrengend. Es gibt noch etwas anderes im Leben, Reisen zum Beispiel.“ Aber ganz auf Baustellen verzichten muss er nicht, denn er hat seine Leidenschaft an seine drei Kinder vererbt. Ihnen will er noch helfen: Sie kauften sich kürzlich ein sehr billiges, da extrem baufälliges altes Haus aus Lehm und Stroh, schief stehend, bereits 20 Zentimeter in sich verschoben – wenn das nicht nach der nächsten Herausforderung für Hans Well und sein außergewöhnliches Vorstellungsvermögen klingt!

Hans Well IMG_0926.JPG
Hans Well

Kontakt
Wer in Hans Wells Ferienhäusern urlauben möchte, kann sie unter www.bavarianheritagehomes.com buchen.

Fotos: Sabeeka Gangjee-Well/Nicole Grün

Nicole Grün

freie Autorin

BEL 02/23

Auch interessant