1_KFW_20_Graefentonna__MG_9293.jpg
ALTBAU-AMBIENTE TRIFFT INDUSTRIE-CHARME Der ehemalige Güterschuppen wurde zur stilvollen Wohnlandschaft umfunktioniert | Fotos: KfW-Bildarchiv/Claus Morgenstern

Geschätzte 350 Bahnhöfe wurden in Deutschland seit Beginn des Jahrtausends stillgelegt, die meisten davon in den neuen Bundesländern. Viele wurden an Kommunen, Vereine, Firmen oder Privatleute verkauft, werden zum Wohnen genutzt, sind zu Ferienwohnungen, Hotels oder Restaurants umgebaut, dienen als Werkstätten und Lagerflächen, Kulturzentren oder Veranstaltungsräume. Wenn die Bahnlinie, an der der Bahnhof liegt, stillgelegt wurde, ist hier auch sehr ruhiges Wohnen möglich.

Die Deutsche Bahn selbst hat auf ihrer Seite www.bahnliegenschaften.de derzeit nur noch einen Bahnhof im Angebot: Sonnewald in Brandenburg für 9.500 Euro. Hin und wieder kommen Objekte auf den freien Markt. Zum Beispiel der Bahnhof Buschow in Brandenburg, der aus dem Jahr 1881 stammt und 330 Quadratmeter Wohnfläche bietet. Das sanierungsbedürftige Gebäude ist bei www.heilbeck-immobilien.de für 126.500 Euro zu haben. Und in Efringen-Kirchen in Baden- Württemberg steht zur Zeit ein großes Bahnhofsgebäude mit zwei Wohnungen, einem Laden und einem Aufenthaltsraum für 1,34 Millionen Euro zum Verkauf.

Ein Vorzeige-Beispiel dafür, was sich aus einem ehemaligen Bahnhof machen lässt, ist in Thüringen zu bestaunen. Die Station Gräfentonna bei Bad Langensalza ist ein Bahngebäude, wie es sie hundertfach in Deutschland gibt. Das zweistöckige Backsteinhaus mit 227 Quadratmetern Wohnfläche und einem einfachen Dach aus Dachpappe hat kleine Anbauten für Wartesaal und Güterabfertigung.

Der Bahnhof stand bereits über 20 Jahre leer, als Karsta Schütte und Gunter Ehe ihn 2016 entdeckten und sich sofort in ihn verliebten. Züge fahren hier noch immer im Stundentakt, doch es gibt schon lange keinen Bahnhofswärter und auch keine Bahnhofsgaststätte mehr.

Die Deutsche Bahn verkaufte das Objekt, und Ehe und Schütte begannen mit der umfassenden Modernisierung. Dabei wurde die Backsteinfassade ausgebessert, die elektrischen Leitungen im ganzen Haus wurden erneuert und auch die Fenster ausgetauscht. Für die Dämmung nutzten die Bauherren Holzfaserplatten, die sie von innen anbrachten. Die hässlichen Schmierereien von außen wurden entfernt, und dann begann die Inneneinrichtung. Von verschiedenen Flohmärkten trug das Paar allerlei Gegenstände zusammen, die früher zur gängigen Ausstattung von Bahnhöfen gehörten. Das reichte von der alten Bahnhofsuhr über Lampen, Schilder und Stellwerkshebel bis zu einem echten Fahrkartenschrank, in dem früher die Fahrkarten aus Pappe lagerten. Auch Fußböden und Wände wurden nach altem Vorbild restauriert.

Auf einen Innenarchitekten verzichtete das Paar. Es gab auch noch alte Details, die erhalten waren, zum Beispiel das Dachgebälk, den Fahrkartenschalter, die Türen, den Tresor und die alte Gepäckwaage. Dies alles wurde sorgfältig restauriert. Karsta Schütte und Gunter Ehe wollten es licht und luftig haben. Die früher getrennten Räume wie Wartesaal, Schalterraum, Stellwerk und Güterschuppen wurden verbunden zu einer großzügigen Wohnlandschaft.

Was die Steuerung von Licht, Klang und Wärme angeht, setzten die Bauherren jedoch auf neueste Technik: All das wird jetzt via Smartphone gesteuert. In den alten Kohlenkeller wurde eine Pelletheizung eingebaut, daneben ein Heimkino. Die Zimmerdecken beließ das Paar in der alten Höhe, so strahlt der Wohnbahnhof das Flair einer gediegenen Altbauwohnung aus. Obwohl der Bahnhof noch in Betrieb ist und Fahrgäste über die Anlage laufen, haben Gunter Ehe und Karsta Schütte im Wohnzimmer keine Gardinen angebracht. Im Obergeschoss des Hauses befindet sich die alte Eisenbahnerwohnung, sie ist vermietet an den Amtsleiter der Gemeinde.

Weil die Renovierung des Bahnhofs außerordentlich gut gelungen ist, erhielt das Paar beim KfW-Award Bauen 2020 einen Preis in der Kategorie Bestand.

 6_KFW_20_Graefentonna__M4A0570.jpg
 7_KFW_20_Graefentonna__MG_9475.jpg
BAHNHOFS-BESITZER Karsta Schütte und Gunter Ehe vor ihrer „Fahrkartenausgabe“. Details wie dieses beließen sie im Bahnhof, um das nostalgische Flair zu erhalten

Fotos: KfW-Bildarchiv/Claus Morgenstern

Dirk-Engelhardt.jpg

Dirk Engelhardt

BEL 01/23