Stuttgart: verhalten positiv
Optimisten wollen in den Zahlen des Gutachterausschusses oder dem leichten Anstieg der Nachfrage schon bessere Zeiten erkennen. Realisten sehen nur etwas mehr Dynamik im Markt. Doch eines ist klar: Zum Klagen ist es die falsche Zeit
Es ist ein warmer Juliabend. Nicht so heiß wie sonst um diese Zeit hier. Dafür ist die Stimmung umso sommerlicher. Das Stimmengewirr sprachlich auseinanderzuhalten, ist nahezu unmöglich. Englisch hört man. Spanisch und Französisch. Der Rest verschwimmt zu einer Art Mega-Kauderwelsch. Was jedoch ganz deutlich zu hören ist: die Musik. In unmittelbarer Entfernung zum Sitzplatz auf der Terrasse des Restaurants spielen Kraftwerk gerade ihren Hit „Autobahn“. Den habe ich bereits 1986 andernorts live im Konzert gehört. Und auf den Bannern des dazugehörigen Festivals ist zu lesen, dass am nächsten Tag Kylie Minogue und zum Abschluss Lionel Richie live auf der Bühne performen. Nun könnte man sagen, dass es so etwas durchaus geben kann, aber ganz ehrlich: Wer erwartet es denn in Stuttgart? Kraftwerk – die Band, die, 1970 in Düsseldorf gegründet, als Initialzündung der elektronischen Musik Weltruhm erlangte und später Bands wie Depeche Mode inspirierte. Und dann noch die anderen erwähnten Weltstars.
Ein Blick zurück nach vorn
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin inzwischen ein echter Fan der Schwabenmetropole. Mit dem „Closed circle“ von vor gut 20 Jahren hat dieser brodelnde Kessel so gar nichts mehr zu tun. „Damals“, etwas überspitzt ausgedrückt, gab es gerade einmal eine Handvoll Möglichkeiten, seine Abende draußen vor einer Kneipe zu genießen. Und wer etwas Zünftig-Hochwertiges essen wollte, ging zum Ochs’n Willi in der Innenstadt. Viel mehr war da nicht. Das Projekt Stuttgart 21 steckte noch in den Kinderschuhen, der VfB spielte im altehrwürdigen Neckarstadion und die Stuttgarter Kickers waren auf dem Sprung in die erste Bundesliga.
Und heute? Das Festival „Jazzopen“ mit Superstars auf dem Schlossplatz, tausende Menschen, die feiern und sich und ihr Leben draußen in den Restaurants und Bars der Stadt zelebrieren. Und der VfB spielt in der Champions League vor heimischer Kulisse in der MHP Arena. Es ist schon verrückt, aber Stuttgart hat sich inzwischen selbst neu erfunden und bietet dazu noch ein nahezu südländisches Sommerambiente. Eine kleine Weltstadt „zwischen Wein und Reben“, wie der Slogan lautet. Und nicht „zwischen Hängen und Würgen“ – wie sie eine prominente Person mal betitelte …
Städtisches Update – mit Immobilienmarkt
Gerade einmal 609.000 Einwohner hat Stuttgart. Hinzu kommen aber fast 300.000 Pendler und die Metropolregion ist die Heimat von sage und schreibe etwa 5,5 Millionen Menschen. Ein echtes Pfund – auch für den Stuttgarter Immobilienmarkt. Für den registrierte der Gutachterausschuss im abgelaufenen Jahr 2024 ganze 4.881 Transaktionen mit einem Gesamtwert von rund 2,8 Milliarden Euro. Beide Zahlen bedeuteten einen deutlichen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2023, und sogar das Jahr 2022 konnte – zumindest, was die Stückzahlen angeht – übertroffen werden. Selbstverständlich sind die Rekordzahlen von 2015 oder auch 2016 noch in weiter Ferne, aber wie heißt es in der Maklerschaft immer so schön: Die Talsohle könnte nun durchschritten sein. Na, mal sehen. Im Neubausegment mag man das momentan noch nicht so sehen. Jedenfalls, wenn es um den Bereich der „normalen“ Wohneinheiten geht.
Das größte Plus bei den Teilmärkten verzeichneten bebaute Grundstücke (32 Prozent mehr Geldumsatz), während unbebaute Grundstücke ein deutliches Minus aufwiesen. Im Bereich der Transaktionen im Neubau frohlockte der Gutachterausschuss aufgrund eines Anstiegs von 34 Prozent. Allerdings wurden statt 91 Einheiten in 2023 im vergangenen Jahr 122 gehandelt. Ganz ehrlich – so richtig viele Wohnungen sind das nicht …
Und auch die Gesamtzahl der fertiggestellten Wohnungen in Stuttgart gibt wenig Grund für Euphorie. Im Gegenteil, gegenüber 2023 (siehe Stuttgart in Zahlen rechts) gab es ein sattes Minus.
Stimmung und Einschätzungen
Vergleicht man die Stimmung bei den „Jazzopen“, kann die in der Immobilienbranche nicht wirklich Schritt halten. Man könnte zusammenfassend sagen: Wie der Markt es auch macht, es ist falsch. Aber das würde eher polemisch daherkommen. Doch die Situation ist eine komplett andere als in den Boomzeiten, in der jeder nach Angebot lechzte und die Käufer ihre Entscheidung quasi innerhalb von Minuten fällen mussten.
Heute ist die Nachfrage zwar durchaus vorhanden, aber das Angebot – selbst in den begehrten Aussichtslagen – sehr groß. Daher haben und nehmen sich viele potenzielle Käufer Zeit für Besichtigungen,vergleichen die einzelnen Objekte und erscheinen nicht selten mehrmals und mit unterschiedlichen Experten an ihrer Seite. Das ist ihr gutes Recht und angesichts der doch manchmal recht undurchsichtigen Gesetzeslage in puncto energetischer Sanierung auch clever. Allerdings führt das zu erheblichem Mehraufwand bei den Maklern und die Verhandlungen ziehen sich nicht selten über Wochen und Monate hin. Es sei zäh, heißt es. Was nicht selten an den noch immer zu hohen Preisvorstellungen gerade von Eigentümern exklusiver Bestandsimmobilien liegen könnte. Auch wenn wohl klar ist, dass die Phantasiepreise der Coronazeit, wie die Pandemie selbst, nur noch punktuell auftreten, gibt es Verkäufer ohne großen Verkaufsdruck und ausgestattet mit entsprechend langem Atem. Und da auch immer häufiger zu lesen ist, die Preise würden jetzt wieder steigen, werden besagte Verkäufer eher weniger zu Zugeständnissen bereit sein. Da helfe es auch wenig, berichtet ein Experte, wenn man argumentiere, dass der Anstieg von „ganz unten“ nach „etwas weniger weit unten“ auch eine Steigerung sei. Nach 30 Prozent Minus sind zwei Prozent Plus nämlich gar nicht so aufregend. Aber vielleicht ist es wie an der Börse – the trend is your friend.
Herausfordernde Zeiten
Ohne gleich pessimistisch daherzukommen, stehen hinter vielen Punkten in Stuttgart sowie in der gesamten Metropolregion Fragezeichen. Wie geht es mit dem früher so erfolgreichen Neubau weiter? Wie behält der Standort, dessen zahlreiche Weltmarktführer zum großen Teil im Umfeld der kriselnden Automobilindustrie anzusiedeln sind, seine Qualität und Anziehungskraft? Wie geht es mit den Schwierigkeiten und Teuerungen bei der Finanzierung weiter?
Klar, in einfachen Zeiten könne jeder Immobilien vermitteln, erklärt ein Experte. Nun sei die Kür des Maklers gefragt. Nur wie sieht diese Kür aus und wer kennt sich denn schon mit dieser Krisensituation in diesen neuen Zeiten von KI und Social Media genau aus? Aktuell lernt jeder überall etwas Neues dazu. Nur wie steht es um die zumeist älteren Verkäufer und die nicht selten verunsicherten Käufer? Eines ist sicher: Langweilig sieht anders aus. Das gilt allerdings nicht nur für Stuttgart, sondern für den gesamten Immobilienmarkt in Deutschland. Alles bleibt anders.
Fazit
Wie „anders“, das zeigt sich auch in den Aussagen der Interviewpartner. Von „ich bin mit der aktuellen Situation sehr zufrieden“ bis zu „manchmal erreicht man bei Häusern im Bestand nicht einmal den Sachwert“ ist alles dabei. Interessanterweise ist jedoch keiner wirklich unglücklich, sondern sieht sich offensichtlich nur mehr gefordert. Von Durchhalten wird des Öfteren gesprochen. Folglich hinterlassen die unterschiedlichen Eindrücke und unklaren Prognosen dieser Runde ein paar gemischte Gefühle. Ein wenig mehr Konstanz und Berechenbarkeit wären schon schön. Ein Wunsch, den man womöglich erst mit reichlich Lebenserfahrung im Gepäck verspürt. Gut, dass es diese Kontinuität aber noch gibt – zum Beispiel in der Musik.
Und so verlässt man am Ende des warmen Juliabends den Stuttgarter Schlossplatz unter den bekannten Klängen des Kraftwerk-Songs „Das Model“ vom 1978er- Album „Die Mensch-Maschine“. Ein wirklich schönes Gefühl. Fast ein wenig wie früher …
BEL 05/25