Neu-Orientierungsphase für den Stuttgarter Immobilienmarkt
Die Schwabenmetropole hat ganz sicher schon bessere Zeiten erlebt. Ihr Immobilienmarkt ist zwar zäh, aber in Bewegung. Wenn auch nicht überall ...
Zahlen sind etwas Wunderbares. Ganz bestimmt ist es nicht das erste Mal, dass dieser Satz in den Marktberichten fällt, aber es ist nun einmal so: Zahlen spiegeln die Wahrheit wider – da kann man noch so lange im Geschäft sein und Gespür für Situationen oder Entwicklungen erworben haben. Am Ende kommt es auf die reinen Zahlen an. In Stuttgart gab es jüngst solche relevanten Zahlen. Entnommen aus dem Quartalsbericht des Gutachterausschusses. Wer sie noch nicht kennt – oder diese nicht durch seine Erfahrung bereits erahnt hat, der dürfte einiger maßen geschockt gewesen sein. Klar, der Rückgang hatte sich bereits im vergangenen Jahr abgezeichnet, aber dieses Ausmaß ist doch heftig.
Negative Quartalsbilanz
So haben die sogenannten Eigentumsüberschreibungen im Vergleich zum ersten Quartal 2022 um 25,8 Prozent abgenommen. Die Zahl der Kauffälle lag mit 938 sogar unter dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre von 1.204. Die Geldumsätze gingen in den ersten drei Monaten 2023 um 41,8 Prozent zurück. Sie lagen mit 472 Millionen Euro weit unter dem zehnjährigen Mittel von 671 Millionen Euro. Die erschreckendste Zahl dürfte in besagtem Quartals bericht jedoch die 15 sein. Gerade einmal 15 Neubau-Eigentumswohnungen wechselten in den ersten drei Monaten des Jahres den Besitzer – ein Rückgang von fast 79 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Und ebenso wenig Grundstücke für den Wohnungsbau wurden verkauft – ein Minus von 65 Prozent. 15 – in ganz Stuttgart!
Die Quintessenz ist das, was viele Makler in den Gesprächen vor Ort ansprechen: Der Neubau liegt weitgehend brach. Auch hier lohnt ein Blick auf die Zahlen: Mit knapp über 900 Wohneinheiten wurden nur zwei Drittel dessen genehmigt, was 2021 zu Buche stand. Und Genehmigung bedeutet nicht Fertigstellung. Steigende Materialpreise, nahezu unkalkulierbare Baukosten und restriktive Banken sorgen bei zahlreichen Projekten für einen Baustopp. Dieser Rückgang der Bautätigkeit produziere in ganz Baden-Württemberg die Wohnungsnot von morgen, bilanzieren die Experten. Lediglich im Topbereich dieses Segments blickt man noch recht zuversichtlich in die Zukunft.
Sehr selektiver Markt
Allerdings muss man dazu sagen, dass nicht nur in Stuttgart das letzte Quartal des vergangenen Jahres und vor allem das erste Quartal 2023 wohl die schlechtesten seit geraumer Zeit gewesen sind. Und „inoffiziell“ wurde uns seitens des Gutachterausschusses bestätigt, dass das zweite Quartal prozentual wohl deutliche Steigerungen aufweisen wird. Für welche Bereiche diese gelten werden, ließ man offen. Und Zahlen gibt es dazu vorab leider auch noch nicht. So gilt es, in den Markt einzutauchen und Stimmungen einzufangen. Business as usual, wie es so schön heißt.
Fest steht zweifellos, dass der Immobilienmarkt in Stuttgart im Vergleich zu den Vorjahren sehr selektiv geworden ist. Es gibt Segmente und Objekte, die „super laufen“, und andere, die „wie Blei“ liegen. Das ist womöglich etwas plakativ ausgedrückt, aber es beschreibt die Situation recht treffend. Im Einzelnen betrachtet, betrifft die Krise neben dem „normalen“ Neubau vor allem den Anlagemarkt sowie schlecht sanierte Bestandsobjekte. Die Gründe hierfür sind schnell gefunden. Während die beiden erstgenannten Segmente auch unter dem stark gestiegenen Zinsniveau leiden, spielt beim Bestand das Energiethema die größte Rolle. „Unsanierte Immobilen werden jetzt richtig abgestraft“ hört man nicht selten.
Trotzdem Bewegung im Bestand
Auch wenn sich die Situation auf dem Stuttgarter Wohnimmobilienmarkt in den vergangenen Monaten komplett gedreht hat, ist von Stillstand nichts zu sehen. Die Objektanzahl hatte seit Beginn der Krise im Frühjahr 2022 deutlich zugenommen, doch in der jüngsten Vergangenheit ist das Angebot weitgehend stabil, es ist einfach länger sichtbar – gerade online und auch im hochwertigen Bereich. Dort, wo man vor Jahren keinesfalls offensiv in den Verkauf gegangen wäre, findet man nun doch eine größere Anzahl von Immobilien.
Auf der anderen Seite ist Nachfrage durchaus vorhanden. Lediglich die Diskrepanz zwischen den oftmals noch immer zu hohen Preisvorstellungen der Verkäufer und den mitunter „optimistischen“ Offerten der Käufer kann ein Problem darstellen. Hier zeigt sich dann die Qualität des Vermittlers – und letztlich auch die von Objekt und Lage. Vernünftig eingepreiste Häuser und Wohnungen in gefragten Lagen, die energetisch auf einem guten bis akzeptab len Level sind, finden auch in diesen Zeiten ihre Käufer. Es sei ja nicht so, heißt es, als gäbe es in Stuttgart keine finanzkräftige Klientel mehr. Manchmal braucht es eben nur Chancen für die passende Immobilie – und letztlich auch den Willen, gegen die Verunsicherung auf dem Markt zu handeln. Denn rückläufig ist bislang in jedem Fall die Entscheidungsfreudigkeit der Käufer.
Eine Frage der Qualität
Klar dürfte sein, dass die Zeiten, in denen sich nahezu jeder eine Immobilie kaufen konnte und dabei auch nicht auf Lage, Ausstattung oder zu guter Letzt auch den Preis geachtet werden musste, sind definitiv vorbei. Der „künstliche Hype“, wie es ein Makler so treffend beschreibt, hat ein Ende gefunden. Die hoch finanzierenden Kunden fallen als Käuferschicht nun raus. Da bei seien die Preiskorrekturen – wenn auch vielleicht nicht so schnell – auch dringend nötig, urteilen nicht wenige Experten.
Was jetzt zählt, ist Qualität – was Mikro- und Makrostandort angeht, was das Objekt angeht und eben auch, was die Beratung angeht. Von selbst verkauft sich momentan wohl kaum eine Immobilie. Auch nicht am Killesberg oder in Degerloch. Daher ist wohl auch der Objekteinkauf aktuell herausfordernder denn je. Wer jetzt zu teuer anbietet, läuft Gefahr, dem reellen Preis dauerhaft hinterherzurennen. Ein Makler stellt dabei fest, dass je höher der Verkaufspreis sei, desto wilder seien die Angebote potentieller Käufer. Wer das Geld habe, bestimme schließlich den Preis. Auch eine Möglichkeit.
Neue Energievorgaben
Klimaschutz, Gebäudeenergiegesetz, Habeckscher Heizhammer – die Welt der gebrauchten Immobilie ist eine völlig neue. Kaum etwas hat den Markt, wie schon berichtet, so extrem beeinflusst wie das Energiethema. „Seit seiner Einführung“, berichtet ein Experte, „hat der Energieausweis nie eine wirkliche Rolle gespielt. Heute ist er ausschlaggebend.“ Energieklassen A bis D seien interessant, darunter laufe es nur über den Preis. Und so werden die fälligen Sanierungsmaßnahmen einfach vom Kaufpreis abgezogen, weil man diese mitfinanzieren muss. Klingt plausibel, ist aber für die Verkäufer eine echte Kröte, die sie schlucken müssen. Diese Verhandlungen gebe es nicht nur bei Häusern, sondern auch bei Eigentumswohnungen, heißt es.
Fazit
Betrachtet man den Stuttgarter Immobilienmarkt, kann es sich in der momentanen Situation nur um eine Bestandsaufnahme handeln. Zu volatil sind die einzelnen Faktoren, zu fragil das Pflänzchen, das aktuell nach ein wenig Erholung aussehen könnte. Die Marktfindung ist ein Prozess.
Das gilt für die Verkäufer – auch in den begehrten Halbhöhenlagen –, denen ihre Immobilien über Jahre quasi aus den Händen gerissen wurden. Hinter jedem potentiellen Käufer standen mehrere andere, die eingesprungen wären, wenn der erste womöglich abgesagt hätte.
Das gilt aber auch für die Käufer, die zum einen nun mehr Auswahl und Zeit haben, sich für eine passende Immobilie zu entscheiden. So wie es eigentlich auch sein sollte. Allerdings fehlt nicht wenigen inzwischen der finanzielle Background, um sich das leisten zu können, was vor ein, zwei Jahren noch möglich war.
Und das gilt auch für die Makler, die sich wieder intensiv um ihre Kunden kümmern müssen. So stehen sonntägliche Open- House-Termine oder auch deutlich längere Vermarktungszeiten jetzt wieder auf der Tagesordnung.
Ganz klar, sämtliche Marktteilnehmer befinden sich gerade in einer Neu-Orientierungsphase. Wie lange diese dauert, wird sich zeigen. Leider gibt es hierfür keine Zahlen – nur Prognosen.
STUTTGART IN ZAHLEN
Quadratmeterpreise, ausgezeichnete Maklerunternehmen, Bauzahlen – interessante Hintergrundinfos zur Schwabenmetropole
3,45 Mrd. Euro betrug das Transaktionsvolumen auf dem Stuttgarter Immobilienmarkt im vergangenen Jahr. Damit registrierte der Gutachterausschuss ein sattes Minus von 26 Prozent gegenüber 2021. Auch bei den Stückzahlen gab es einen deutlichen Rückgang von 9,3 Prozent (4.707 verkaufte Immobilien) im Vergleich zum Vorjahr.
18.970 pro Quadratmeter betrug nach aktuellen Angaben des Gutachterausschusses Stuttgart der höchste Preis, der für eine Eigentumswohnung im vergangenen Jahr bezahlt wurde. Bei dem Objekt handelte es sich um ein Neubau-Objekt in Stuttgart-Nord. Im ersten Quartal 2023 lag der Tpwert bislang bei 10.784 Euro für eine Bestandswohnung in Stuttgart-Nord. Grundlage waren die bislang ausgewerteten Kaufverträge.
118 % Plus in 13 Jahren – beziffern den Kostenrahmen für den Bau des Projektes Stuttgart 21. Fazit: 1995 gab es eine Kostenvereinbarung von (umgerechnet) maximal 2,5 Milliarden Euro, bei Baubeginn 2010 wurden 4,5 Milliarden Euro vereinbart. Aktuell werden die Kosten auf 9,8 Milliarden Euro taxiert.
13 Plätze machte Stuttgart im aktuellen Ranking des Wirtschaftsmagazins „Economist“ gut. Zwar rangiert die Schwabenmetropole mit Platz 25 nicht unter den Top Ten, doch im bundesweiten Vergleich ist man nun Fünfter – knapp hinter Berlin und Frankfurt (Rang 17), München (21) und Hamburg (22). Für den jährlich erstellten Index werden Faktoren wie Stabilität, Gesundheitswesen, Bildung, Infrastruktur sowie Kultur und Umwelt bewertet.
775 Neubauwohnungen wurden 2022 in Stuttgart fertiggestellt. Das berichtet das Statistische Landesamt Baden-Württemberg. Im Vergleich zu 2021 war dies ein Rückgang von 41,3 Prozent. Auch bei den Baugeneh- migungen gab es ein deutliches Minus: Wurden 2021 noch 1.348 Wohnungen genehmigt, waren es im vergangenen Jahr gerade einmal noch 909 Einheiten – Tendenz weiter fallend, wie Branchenexperten berichten.
76 Immobilienfirmen aus der Metropolregion Stuttgart wurden im Jahr 2023 mit dem begehrten BELLEVUE-Siegel „Best Property Agents“ ausgezeichnet. Mehr Infos zur Auszeichnung in diesem Heft auf Seite 186 und online unter www.bellevue.de/bpa
BEL 05/23