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Foto: Stuttgart-Marketing GmbH/Werner Dieterich

Der Spruch „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“ dürfte vielen bekannt sein. Dieser Satz bringt die Situation und die Stimmung auf dem Immobilienmarkt ziem lich genau auf den Punkt. Seit einigen Wochen hat sich der Wind in der Immobilienbranche komplett gedreht. Und dies geschah in einer Geschwindigkeit, mit der wohl nur die wenigsten gerechnet haben. Zugegeben, die geänderten Vorzeichen gelten sicher nicht exklusiv für Stuttgart, doch dieses Special über die Schwabenmetropole ist das erste, bei dem die Auswirkungen in den Maklergesprächen Thema Nummer eins sind.

Die letzte Dekade

Jahrelang kannte der Markt für Wohnimmobilien nur eine Richtung: nach oben. Stetig steigende Nachfrage befeuert durch anhaltend historisch niedrige Zinsen und einen stetigen Rückgang im Bereich der stimmigen und finanziell darstellbaren Angebote. Nicht selten ein Tummelplatz für Glücksritter und Freunde unmoralischer Angebote – auch in der Maklerschaft. Die Wohnimmobilie hatte als Investmentobjekt plötzlich SexAppeal. Keine Spur vom angestaubten Image vorvergangener Jahre, in denen der Neue Markt und Volksaktien im Blickpunkt standen. Jeder wollte Wohnungen und Häuser kaufen – selbst institutionelle Anleger und Family Offices brachten ihr Geld in diesem Segment unter. Einst unvorstellbar, dass sogar Einfamilien häuser als Anlageobjekte herhalten mussten. Hauptsache, das Vermögen war in Sicherheit. Der Begriff Betongold kam nicht von ungefähr. Dass selbst die Pandemie die rasante Rallye nicht stoppte, sondern eher als Brandbeschleuniger fungierte, darf in der Rückschau daher nicht verwundern.

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KESSELLAGE Auch wenn es viele Suchkunden ins Umland zieht, Stuttgart und die Halbhöhenlagen bleiben gefragt | Foto: iStock/querbeet

Eine komplett neue Lage im Zinsbereich

Und jetzt das: Dümpelten die Hypothekenzinsen zum Jahresbeginn noch im Bereich der Ein-Prozent-Grenze, halten nicht wenige Experten bis zum Jahresende sogar die Vier-Prozent-Marke für möglich. Aktuell (Stand Mitte Juli 2022) stehen rund 3,2 Prozent zu Buche. „Der Anstieg kam gefühlt über Nacht“, erklärt ein Experte. Das sei anfangs noch kein Problem gewesen, weil letztlich hinter jedem Käufer ein anderer stand, der eingesprungen sei. Die Situation stelle sich nun aber oft anders dar. Ganz konkret bedeutet der Zinsanstieg für die Käufer eine monatliche Mehrbelastung von mehreren Hundert Euro – je nach Finanzierungslänge und -bedarf. Das Fazit: Hier fällt mitunter eine ganze Käuferschicht weg, die gern als „Schwellenhaushalte“ bezeichnet werden. Hinzu kommen noch Kapitalanleger, die ihr Wohnungsinvest in der Regel zu 100 Prozent finanzieren und die Belastung durch die Miete decken. Dazu reicht der Ertrag aktuell aber oft nicht mehr. Gerade in diesen Bereichen wird sich der Markt in den kommenden Monaten und Jahren verändern. Übrigens: Das Hochpreissegment ist von dieser Krise kaum betroffen, doch dazu später mehr.

Wie wirken sich die gestiegenen Zinsen auf den Immobilienmarkt aus?

„Die Immobilienverkäufer werden von ihrem hohen Ross heruntersteigen müssen“, hieß es jüngst in einer Tageszeitung. Und ein Makler ergänzt: „Die Schrottimmobilien, die bis vor Kurzem noch locker ihre Käufer gefunden haben, werden es nun sicher schwer haben.“ Das mag auf den ersten Blick sehr hart klingen, doch zumindest für das Segment der „normalen“ Immobilien trifft diese Einschätzung die Lage ziemlich exakt. Das liegt, wie schon erwähnt, zuallererst mal an den gestiegenen Zinsen, doch auch andere Themen wie rasante Anstiege der Baukosten, Materialengpässe, gesetzlich vorgeschriebene energetische Sanierungen und die zunehmend restriktive Haltung der Banken sorgen für eine deutliche Verknappung der Nachfrage – von der allgemeinen Unsicherheit in Sachen Energiepreise und Ukrainekrieg ganz zu schweigen. Jedoch darf man auch den positiven Aspekt dieser Entwicklung nicht außer Acht lassen: Das Angebot könnte sich in der nächsten Zeit durchaus vergrößern.

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UNGEWISSHEIT Symbolbild für die aktuelle Situation – die Zukunft des Marktes könnte man als undurchsichtig bezeichnen | Foto: picture alliance/dpa/Fotoagentur-Stuttgart/Andreas Rosar

Die fetten Jahre sind vorbei

Interessanterweise sei die neue Situation in den Köpfen der breiten Masse noch gar nicht angekommen, heißt es. Kein Wunder, wenn man jahrelang liest, dass die Preise steigen und nur der Himmel die Grenze ist. Nun sind vor allem die Makler gefordert, die Verkäufer wieder „einzufangen“. Denn es deutet sich an, dass sich die Lage recht schnell vom Verkäufer zum Käufermarkt entwickelt – auch in Stuttgart. Leider lassen die vorliegenden Zahlen von Transaktionen und Bodenrichtwerten noch keine Schlussfolgerungen auf diese Tendenzen zu, denn sie stammen vom Gutachterausschuss und somit entweder von 2021 oder aus dem ersten Quartal dieses Jahres, als man vom jetzigen IstZustand noch recht weit entfernt war.

Da verwundern auch die zahlreichen überzogenen Privatangebote aus Stuttgart nicht, die online kursieren. Sie können als beste Beispiele dafür herhalten, dass es noch etwas dauern wird, bis auch die Verkäufer sich mit der neuen Situation – und wohl auch mit neuen Preisen – angefreundet haben.

Noch keine Krise bei den Luxusimmobilien in Stuttgart

Verunsicherung spürt man mitunter auch im Bereich der Luxusimmobilien; auf Stuttgart heruntergebrochen sind das also die Objekte jenseits der ZweiMillionenGrenze. Die Zinssituation spielt hier nur eine untergeordnete Rolle, doch in Sachen Energiepreise, Material- und Fachkräftemangel sowie nicht zuletzt in puncto Ukrainekrieg kommt man auch in den gefragten Halbhöhenlagen ins Grübeln. Das hat sowohl auf Verkäufer- als auch auf Käuferseite den Markt etwas verlangsamt. Die Abschlussgeschwindigkeit ist zurückgegangen. Aktuell rechnen die meisten Experten nur noch mit einer Seitwärtsbewegung statt mit großen Preissprüngen. Dennoch sei das „Unbedingt-Habenwollen“ noch immer erkennbar. Allerdings fehle vielen potentiellen Verkäufern weiterhin die Alternative – besonders im Segment der barrierefreien Neubauwohnungen für ältere Semester. Damit ist wohl angesichts der rückläufigen Bautätigkeit so schnell auch nicht zu rechnen. Und so werden viele Häuser, die für Stuttgarter Familien gerade ideal wären, auch weiterhin nicht am Markt angeboten.

Die schönsten Immobilienlagen und attraktivsten Immobilienpreise in Stuttgart 2022

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Lässt der Druck jetzt nach?

Eine massive Nachfrage und das geringe Angebot haben die Preise am Neckar steigen lassen. Wie geht es nun weiter?


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Quelle: Maklerumfrage, Gutachterausschuss, McMakler, eigene Recherche | Grafiken: Jochen Schäfers/Yamori
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Ein- und Zweifamilienhäuser: siebenstellig

Seit 2011 ist der durchschnittliche Kaufpreis für ein Ein- oder Zweifamilienhaus um 136 Prozent gestiegen. Längst liegt er bei über einer Million Euro

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ANMERKUNG Aufgrund von Stichprobenunterschieden können die ermittelten Durchschnittswerte zum Teil deutliche Abweichungen enthalten. Es handelt sich bei den Daten nicht um normierte Kaufpreismittel, die die Unterschiede in den Stichprobenmerkmalen mit Umrechnungskoeffizienten ausgeglichen haben.

Wohnbaugrundstücke: rasanter Anstieg

Seit 2011 hat der Quadratmeterpreis für Baugrund von Ein- und Zweifamilienhäusern um 174 Prozent zugelegt, 2021 noch mal sehr deutlich

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Neubau-Eigentumswohnung: nochmal heftige Steigerung

2011 lag der Durchschnittspreis für eine Neubau-Eigentumswohnung bei 3.397 Euro/m2, 2021 bei 7.871 Euro/m2 – ein Plus von ca. 132 Prozent

Spannende Zeiten für Bauträger

Als agiere man in Stuttgart nicht ohnehin schon in einem – dank dem Baurechtsamt – nur unzulänglich kalkulierbaren Markt, hat sich insbesondere im Neubausegment die Lage extrem verkompliziert. Wer kann denn schon jetzt konkret beurteilen, wie sich die Situation in drei oder vier Jahren darstellt? Denn wer heute ein Grundstück zum noch immer sehr hohen Preis einkauft, nicht selten über ein Jahr auf die Baugenehmigung warten darf, um dann gegebenenfalls mit noch höheren Baukosten und weiteren Unwägsamkeiten zu kalkulieren, ist nicht wirklich zu beneiden. Nicht wenige Bauträger, die die viel zitierten „normalen“ Immobilien anbieten, legen daher ihre Projekte erst einmal „auf Eis“ und warten weitere Entwicklungen ab. Auch im Neubau tut sich der hochpreisige Bereich leichter. Denn steigende Baukosten und längere Bauzeiten können sich finanzstarke Kunden eben leichter leisten. Trotzdem bergen auch hier die Objekte für den Anbieter Risiken, die bereits verkauft, aber noch nicht fertiggestellt sind. Wohl dem, dessen Grundstückseinkauf nicht unbedingt steigende Preise vorausgesetzt hat.

Wie geht es weiter mit dem Stuttgarter Immobilienmarkt?

Auch in Stuttgart wurde des Öfteren auf die nicht vorhandene Kristallkugel hingewiesen. Dennoch möchte man schon wissen, welche Prognosen die Makler für die nahe Zukunft haben. Voraussagen seien schwierig bis sehr schwierig, heißt es zumeist, doch andererseits habe man auch in der jüngsten Vergangenheit gute Geschäfte gemacht. Klingt nach Demut. Durchaus ungewöhnlich für die Branche. Allerdings sollte man in einer Region mit großer Kauf- und wirtschaftlicher Strahlkraft die Kirche wohl tatsächlich im Dorf lassen. Stuttgart und sein gefragten Standorte im Dunstkreis werden sicher nicht zu den Verlierern eines aktuell auch mal rückläufigen Marktes zählen.

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Sven Heinen

ist Redaktionsleiter bei BELLEVUE.
Tel.: 040-593 625 040

BEL 05/22