Immobilien-Marktreport Stuttgart 2017: Ein Kessel Lage

Bis auf wenige Standorte ist Stuttgart nicht nur leergekauft, sondern auch noch vollgebaut. Was überspitzt ausgedrückt klingt, wird langsam Realität

Früher war Stuttgart ein lokales Phänomen, heute ist das Interesse an der Schwabenmetropole international (Foto: 500px/W. Simm)

Es ist schon überraschend: So einig sich die Maklerschaft bezüglich der Entwicklung im Stuttgarter Umland ist, so uneinig ist man sich in Sachen Zukunftsprognosen für die Schwabenme­tropole selbst. Zwar geht niemand von einem Super-GAU und drastisch rückläufigen Preisen aus, doch über dem Kessel schwebt eine Wolke der Unsicherheit. Und das hat nichts mit dem einmal mehr sehr drückenden Wetter während unseres Besuchs zu tun.

Früher hieß es, wenn der Daimler hustet, hat die Metropolregion Stuttgart Grippe. Manch einer hört den Daimler – und nicht nur den – angesichts der Dieselkrise und der weiter auf dem Vormarsch befindlichen E-Mobilität nicht nur husten, sondern bekommt dabei ad hoc Bauchschmerzen. Vielleicht ist an dieser Vorahnung etwas dran, und vielleicht ist auch der pleitegegangene GEWA-Tower in Fellbach mehr als nur ein Zeichen. Dazu nur eine kurze Anmerkung: Ein Schandfleck ist der teilfertiggestellte Turm in jedem Fall. Und mit jedem Liter Regen, der in die offenen oberen Geschosse fällt, verliert das einstige Prestigeobjekt nicht nur an Wert, die Gefahr, dass der Tower aufgrund der Wasserschäden im Bau ganz abgerissen werden muss, ist allgegenwärtig. 

Obwohl Stuttgart stark im Fokus steht, besticht die Stadt durch viele Rückzugsorte (Foto: 500px/D. Baum)

Doch zurück zur Marktsituation: In Zeiten unterschiedlicher Ansichten und Prognosen helfen oft ein paar harte Fakten, um einer möglichen ­Kaffeesatzleserei entgegenzuwirken. BELLEVUE hat diesbezüglich den Gutachterausschuss der Stadt Stuttgart beauftragt, die durchschnittlichen Kaufpreise für Bestands- und Neubau­eigentumswohnungen von 1997 bis 2016 zusammenzustellen. Hierbei handelt es sich um sogenannte bereinigte Werte, d. h. ­besondere Ausstattungen o. ä. werden hier nicht mitberücksichtigt.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Durchschnittspreis im Bestand gerade einmal um 77,4 Prozent erhöht (von 1.758 auf 3.118 Euro). Rechnet man die Inflation in dieser Zeit heraus, kein großer Gewinn. Hinzu kommt, dass von dieser Steigerung allein 59 Prozent innerhalb der vergangenen Jahre verzeichnet wurde und allein 14,8 Prozent von 2015 auf 2016. Einen eindeutigeren Beweis für den viel zitierten Nachholbedarf in Sachen Preisentwicklung kann es wohl kaum geben.

Noch ein wenig eindrucksvoller sind die Zahlen im Neubau: Lag der Quadratmeter 1997 noch bei 2.656 Euro, befand er sich 2016 bei 5.442 – ein gut 100-prozentiger Anstieg in 20 Jahren. Doch auch hier resultiert der Löwenanteil (61,5 Prozent!) aus den Steigerungen der vergangenen fünf Jahre (2011 bis 2016). Dass sich gerade in diesem Segment nun ein wenig Beruhigung breitmachen könnte, ist daran erkennbar, dass der Anstieg von 2015 auf 2016 gerade einmal noch bei 7,8 Prozent lag. Das ist respektabel, aber eben nicht mehr spektakulär. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich die Preise weiterentwickeln, denn im ersten Quartal 2017 sind bereits wieder zweistellige Steigerungsraten zu verzeichnen. Zudem wurden die Bodenrichtwerte in der Stadt um bis zu 35 Prozent (Stuttgart-Nord) nach oben korrigiert. So viel zur Berechenbarkeit eines städtischen Immobilienmarkts.

Quelle: BELLEVUE-Maklerumfrage Juli 2017

Business as usual
Nicht nur in den beliebten Halbhöhenlagen und der Innenstadt, auch in den Stuttgarter Randgebieten ist das Immobilienangebot oft mehr als dürftig.

Dennoch lohnt sich der Blick in den Kessel selbstverständlich, auch wenn manch einer von wenig Veränderungen gegenüber dem Vorjahr spricht – abgesehen von den alljährlichen Preisanstiegen, versteht sich. Stuttgart ist ein hochemotionaler Markt. Angespannt sei die Lage eigentlich immer gewesen, auch als sich noch nicht „jeder“ für Immobilien am Neckar interessiert habe. „Es gab immer zu wenig Angebot, aber man ist respektvoll miteinander umgegangen“, berichtet ein Experte. Doch damit sei es längst vorbei, meint er. „Jeder will das Geschäft seines Lebens machen und gönnt keinem anderen auch nur irgendwas“, echauffiert er sich weiter. Am schlimmsten seinen die Grundstücksverkäufer, sagt er. „Was die teilweise für Preise im Kopf haben, ist doch krank.“

Gut gebrüllt, Löwe, doch was, wenn solche Mondpreise auch noch bezahlt werden? Zumindest im Bereich der Luxuswohnungen (Kaufpreise jenseits von 1,5 Millionen Euro) scheint mittlerweile eine Sättigung eingetreten zu sein. Oder besser gesagt, dort gibt es einen regulären Markt mit Auswahlmöglichkeiten. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass alle angebotenen Objekte auch zum offerierten Preis den Besitzer wechseln. Eben eine ganz normale Marktsituation.

Die sucht man in anderen Segmenten und Lagen weiterhin vergeblich. Wer vernünftige Objekte im Stadtgebiet zwischen 500.000 und 1,5 Millionen Euro zu bieten hat, der braucht sich keine Sorgen zu machen. Hierbei handelt es sich um „Schnelldreher“. Mitunter kommen diese Objekte auch gar nicht erst auf den Markt. Zu viele Interessenten, die entweder nicht finanzieren müssen oder gleich bar bezahlen. Eine ausgewogene Marktsituation sieht anders aus.

Standortfaktor Bildung: die Universität Hohenheim in Stuttgart-Plieningen (Foto: Fotolia)

Es sind die Randgebiete, in denen derzeit viel Bewegung ist. Nicht, dass es dort viel günstiger wäre, eher weniger teuer, wie es ein Experte ganz richtig ausdrückt. Der Stuttgarter Osten könnte in ein paar Jahren die Entwicklung nehmen, die der Westen vor Jahrzehnten nahm. Hedelfingen, Wangen und Stuttgart-Ost selbst erfreuen sich einer wachsenden Nachfrage – verbunden mit dem „Makel“, dass man andernorts in der Stadt nicht fündig geworden ist. Im Süden sind es Plieningen oder Möhringen, die aus demselben Grund Interesse hervorrufen. Die Not macht erfinderisch. Kein Wunder, wenn in der Innenstadt für Altbauwohnungen Neubaupreise zu zahlen sind. Allerdings, so bemerkt ein Makler im Gespräch, sei die Fantasie der Käufer trotz der Enge des Marktes oftmals begrenzt. So berichtet er von einem Ladenlokal, das man recht einfach als Wohnung hätte umnutzen können. Dieses würde jedoch seit einiger Zeit ohne Erfolg zum Spottpreis angeboten werden. Ein echtes Ärgernis, wenn die städtischen Planungen so etwas schon einmal zulassen.

Bewegung gibt es auch im Norden. Zwar sind nach der Tower-Pleite in Fellbach nicht alle gut auf Wohntürme zu sprechen (von Cloud No 7 mal abgesehen), doch am Höhen­park Killesberg entsteht das Skyline, ein Wohnturm mit zum Teil spektakulären Mietwohnungen. Aber ein Turm macht natürlich noch keine Lage. Doch in den letzten Jahren hat sich der Bereich des Pragsattels durchaus positiv entwickelt. Infrastrukturell und wohnbautechnisch kommt der Standort langsam in die Gänge. Wenn dann noch die Seilbahn über den Kessel hier starten würde … Richtig, es gibt in Stuttgart Wichtigeres zu bewältigen als eine Diskussion um ein paar Gondeln. Doch einen gewissen Charme hätte die Idee, die womöglich sogar den unsäglichen Verkehr in der Stadt etwas entlasten könnte.

Wirkliche Veränderungen wird der Stuttgarter Immobilienmarkt auch in den kommenden Jahren nicht hergeben. Flächen­technisch hat die Stadt noch ein paar vereinzelte Reserven, doch das Gros der Entwicklungen kann nur und muss über sinnvolle Nachverdichtung erfolgen. Sollten diese Möglichkeiten ausgeschöpft sein, wird die Karawane vollständig ins Umland abwandern. Da sind sich dann (fast) alle ­Experten wieder einig.

Redakteur Sven Heinen

Sven Heinen

ist Redaktionsleiter bei BELLEVUE.
Tel.: 040-593 625 040