Gestern noch Kiez, heute schon Kult: Wie schnell sich die Zeiten ändern, zeigt sich besonders gut am Prenzlauer Berg (Foto: ©TIMDAVIDCOLLECTION - stock.adobe.com)

Immobilien-Marktreport Berlin 2018: Auf der Überholspur

„Arm, aber sexy“, das war einmal. Berlin wächst, der Tourismus boomt – und die Immobilienpreise steigen, denn die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem. Was tun? Diese Frage stellt sich längst auch die Politik

Mittelpunkt und Treffpunkt im Herzen Berlins: Das Brandenburger Tor (Foto: ©flyinger - stock.adobe.com)
Mittelpunkt und Treffpunkt im Herzen Berlins: Das Brandenburger Tor (Foto: ©flyinger - stock.adobe.com)

Veränderungen, die staunen lassen

„Spannend – und angespannt“ nennt der eine den Markt, „hip und cool“ der andere. Einig sind sich alle: Berlin erlebt Veränderungen, die staunen lassen. Die aber, so ein roter Faden, der sich derzeit durch alle Gespräche mit den Immobilienprofis der Hauptstadt zieht, besser koordiniert werden könnten. Wohnungsbaupolitisch, so heißt es, bewege sich zu wenig. In planerischer Hinsicht, so ein Marktteilnehmer, sei „der Sprung zu Wir-sind-Hauptstadt“ noch nicht geschafft. Was sind die Fakten, die dahinterstehen?

Zuerst einmal: ein boomender Tourismus – und ein kontinuierlicher Zuzug aus Deutschland, ganz Europa und aller Welt. Die 3,5-Millionen-Marke hat die Bevölkerung längst überschritten: 40.000 bis 60.000 Neuberliner kommen jedes Jahr. Der Bedarf an neuem Wohnraum liegt daher bei mindestens 20.000 Einheiten pro Jahr – tatsächlich gebaut wurden 2016 nur knapp 14.000. Die Folge: Es herrscht Druck im Kessel. Seit fünf Jahren klettern die Preise, die Mieten dabei stärker als die Kaufpreise. In der Spitze liegen Letztere im Westen bereits zum Teil bei über 20.000 Euro pro Quadratmeter, im Osten bei 14.000. Und abflachende Preiskurven, wie man sie in anderen deutschen Metropolen derzeit sieht, gibt es in Berlin nicht. „Wie lange noch“, so ein Experte, „kann man aber nicht sagen.“

Gestern noch Kiez, heute schon Kult: Wie schnell sich die Zeiten ändern, zeigt sich besonders gut am Prenzlauer Berg (Foto: ©TIMDAVIDCOLLECTION - stock.adobe.com)
Gestern noch Kiez, heute schon Kult: Wie schnell sich die Zeiten ändern, zeigt sich besonders gut am Prenzlauer Berg (Foto: ©TIMDAVIDCOLLECTION - stock.adobe.com)

Aktuell gilt also: Die Nachfrage ist groß – das Angebot gering. Ergo ist die Objektakquise für Makler zurzeit die größte Herausforderung. Damit zurück zu der eingangs erwähnten Kritik: Anders als etwa Hamburg oder München besitzt Berlin noch ein riesiges Flächenpotential für Verdichtung. Nicht Grünflächen sind damit gemeint – den Status der grünsten Metropole Deutschlands stellt auch kein Makler oder Bauträger infrage –, sondern Industriebrachen: Man muss nur mit Google Maps über die Hauptstadt „fliegen“, um sie zu identifizieren.

Vom seit 2016 regierenden rot-rot-grünen Senat aber sind Lückenschließungen meist nicht gewünscht, und bei den Genehmigungen für Neubauten, so die Branche, lasse man sich viel zu lange Zeit. Hinzu kommt der „Milieuschutz“: In rund 40 Kiezen ist die Um­wandlung von Mietwohnungen zu Eigen­tum genehmigungspflichtig; Raumaufteilungen dürfen dabei nicht verändert werden. Ziel ist es, so die entsprechende Senatswebsite, „die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus städtebaulichen Gründen zu erhalten und sozialer Verdrängung vorzubeugen.“ Die „Gentrifizierung“ also …

Flächendeckende Preisanstiege

Nach langer Stagnation verzeichnet die Hauptstadt seit einigen Jahren mitunter rasante Steigerungen der Kaufpreise. Ende offen …

Milieuschutz contra Gentrifizierung

Stimmt, sagen die meisten Marktteilnehmer, Verdrängung der angestammten Bevölkerung könne man nicht wollen. Aber den Milieuschutz gebe es ja schon seit 15 Jahren. Nur nehme das Thema unter der jetzigen Regierung derart an Dynamik auf, vor allem in Kreuzberg, Friedrichshain, Pankow oder Neukölln, dass am Ende keinem gedient sei. „Berlin wächst nun mal“, so eine Expertin, „und deshalb müssen neue Regeln her.“

Der klare Appell also: Mehr bauen – auch zum Nutzen der eingesessenen Bevölkerung! Aus­drücklich wird der soziale Wohnungsbau davon nicht ausgenommen: Der Analyse der „Berliner Zeitung“ vom 12. Januar 2018 stimmen jedenfalls alle zu. 2017 habe die Stadt, so heißt es in dem Beitrag, rund eine Milliarde Euro an Grunderwerbsteuer eingestrichen (sie liegt in Berlin bei sechs Prozent) – für die Wohnungsbauförderung habe man jedoch nur 242 Millionen Euro bewilligt.

Tummelplatz: das "Capital Beach" direkt an der Spree (©Katja Xenikis - stock.adobe.com)
Tummelplatz: das "Capital Beach" direkt an der Spree (Foto: ©Katja Xenikis - stock.adobe.com)

„Berlin wächst nun mal …“ Besser kann man es ja auch kaum sagen: Die Dynamik dieser Stadt ist mit Händen greifbar. Vor allem junge Menschen ziehen her, denn Berlin ist eine Start-up-Kapitale, mit Leuchttürmen wie Zalando, Car2Go oder den ersten E-Roller-Sharing-Ideen, genannt Emmy und Coup. Nicht alte Industrie, sondern neue Dienstleister und der digitale Sektor machen die Musik: Kein DAX-Unternehmen hat hier seinen Sitz, dafür Daimler-Benz seinen Thinktank. Auch erste Brexit-Flüchtlinge aus London – Banken, Versicherungen, Fonds – wurden gesichtet. Zudem blühen Film und Kunst, Medien und Musik sowie Wissenschaft und Forschung: Berlin begnügt sich nicht mit seinen drei großen Universitäten, sondern schafft mit der Wissenschaftsstadt Adlershof im ehemaligen Ostberlin einen topmodernen Technologiepark, von dem alle schwärmen.

Es ist zu einem Gutteil dieses Klima, das Berlin so attraktiv macht – aber nicht allein. Ein anderer Grund ist schlicht das Preisniveau. Investoren, ob nationale oder internationale, wissen: Noch ist Berlin eine der preisgünstigsten Hauptstädte Europas. Auch wenn die große Rallye diesbezüglich wohl schon vorbei ist: Anleger aus Skandinavien, aus Südeuropa und auffällig viele aus Asien kaufen sich ein, oft über „Family Offices“, die Immobilien als ­Anlageobjekte sammeln und professionell verwalten lassen. Abnehmend dagegen ist die Zahl russischer Käufer; hier wirken die Sanktionen. Das „Tor zu Osteuropa“ bleibt Berlin gleichwohl; ein Trumpf, den London und Paris nicht haben.

Trendviertel wie Kreuzberg zeigen die Dynamik der Stadt (Foto: ©Laiotz - stock.adobe.com)
Trendviertel wie Kreuzberg zeigen die Dynamik der Stadt (Foto: ©Laiotz - stock.adobe.com)

Internationale Anleger auf dem Vormarsch

Allerdings sollte die Rolle internationaler Anleger nicht überschätzt werden. Vier Fünftel der Berlin-Interessenten, so die gängige Schätzung, sind Deutsche – oft die Berliner selbst. Mehrfach wird von jenen berichtet, die sich vor Jahren im Prenzlauer Berg einkauften (damals das Trendviertel) und die dort jetzt mit sattem Gewinn ­verkaufen, um im bürgerlichen Südwesten (Dahlem, Grunewald, Zehlendorf) eine schmucke zu Villa erwerben. Die Klientel sei zahlungs­kräftiger geworden, heißt es dort: Man kann es sich leisten, in die Wohnviertel der Diplomaten aufzusteigen, kann seine Kinder auf die renommierte JFK-Schule in Zehlendorf schicken – und legt bei Bodenrichtwerten von aktuell 2.100 Euro pro Quadratmeter (Grunewald) allein für das Grundstück schon die erste Million auf den Tisch.

Bis zu fünf Millionen kommen in der Summe für Spitzenobjekte zusammen – sie bleiben allerdings die Ausnahme. Und mit Frohnau im Nordwesten, an der Grenze zu Brandenburg, hätte man die (noch) preisgünstigere Alternative: Hochwertige Villen mit mindestens 1.000 Quadratmeter Grund wechseln dort zu Preisen zwischen einer und 1,5 Millionen Euro den Besitzer. Wer es zwar gediegen, aber urbaner mag, schaut auf Charlottenburg und Wilmersdorf. Oder in die Ku’damm-Seitenstraßen: Sie sind, nach Image-Dellen in den NullerJahren, wieder heiß begehrt. Und für ­Berliner Verhältnisse sündhaft teuer: Bei 8.000 Euro liegt der Quadratmeterpreis jetzt im Schnitt.

Ein Objekt schafft es gar über die 18.000er-Marke – eine noch im letzten Jahr undenkbare Größe. Selbst für den Stadtteil Mitte rund um Unter den Linden, Gendarmenmarkt und Museumsinsel, wo man Angela Merkel zur Nachbarin hätte: Sie wohnt vis-à-vis des Pergamonmuseums.

Wohnen am Wasser wie hier am Müggelsee erfreut sich immer größerer Beliebtheit (Foto: ©Maurice Tricatelle - stock.adobe.com)
Wohnen am Wasser wie hier am Müggelsee erfreut sich immer größerer Beliebtheit (Foto: ©Maurice Tricatelle - stock.adobe.com)

Wohnen am Wasser ist der neueste Hit

Apropos Mitte: Drumherum liegen jene Viertel, die man „Trendlagen“ nennen könnte, wären sie nicht längst in aller Munde. Der Prenzlauer Berg ist damit nicht gemeint – hier ist, so ein Experte, „das Ende der Fahnenstange längst erreicht“. Wohl aber: Friedrichshain, Kreuzberg, Lichtenberg, sogar Wedding, Moabit und Neukölln, wo „Leute mit Kohle sich mit Künstlern und Alternativen mischen“, wie es heißt. Und mittendrin verläuft die Spree – am Wasser zu wohnen ist auch in Berlin der Hit. Neue Wohnanlagen, etwa in der Europacity nördlich des Hauptbahnhofs, finden reißenden Absatz. Um bis zu 15 Prozent sollen hier die Preise seit drei bis vier Jahren jährlich gestiegen sein. Mit Auswirkungen weiter Richtung Norden: Pankow wird von allen derzeit als Quartier mit besonderem Potential betrachtet. Mit einer „perfekt gemischten Klientel“ – und mit Quadratmeterpreisen zwischen 2.200 und 2.500 Euro sowie Häusern von 600.000 bis zu einer Million.Dass all das, last but not least, den Druck langsam bis in die Berliner Peripherie spürbar werden lässt, überrascht nicht. Zu ihr lautet das einhellige Urteil: Alles, was S- oder Regionalbahnanschluss hat, kommt so langsam ins Visier, ob im Norden und Westen bis Oranienburg oder Falkensee, im Südosten bis Köpenick oder Königs Wusterhausen. Und Richtung Potsdam hat man Teltow, Stahnsdorf oder Kleinmachnow eh längst „auf dem Kieker“.

Dr. Johannes Bohmann

ist BELLEVUE-Autor