Immobilien-Marktreport Berlin 2017: Billig war gestern
„Arm, aber sexy“, das war einmal. Berlin wächst, der Tourismus boomt – und die Immobilienpreise steigen, denn die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem. Was tun? Diese Frage stellt sich längst auch der Politik

Immobilien-Marktreport Berlin 2017: Billig war gestern
Hohe Kauf- und Mietpreise innerhalb der Stadtgrenzen, weiterhin positive Entwicklungsprognosen und eine deutlich steigende Umlandnachfrage – die Hauptstadt ist in der Realität angekommen

Sehr niedrige Eigentumsquote
Berlin war schon immer anders. Nicht nur, aber vor allem aufgrund der jahrzehntelangen Teilung. Während im Westteil der Stadt Bauland immer Mangelware und daher überaus teuer war, gab es im Ostteil das Segment Eigentumswohnung bis zur Wende überhaupt nicht. Während man in anderen Städten (bis auf Stuttgart) für Grundstücke am Wasser Höchstpreise bezahlte, lagen die Uferflächen in Berlin weitgehend brach. Auf beiden Seiten der Mauer wohnte man zumeist zur Miete – ob nun im Haus oder in der Wohnung. Und manchmal lebte man in heruntergekommenen vier Wänden, sogar ganz ohne dafür zu bezahlen. Doch das ist eine andere Geschichte …
Noch immer liegt die Eigentumsquote in der Hauptstadt bei gerade einmal 15 Prozent. Bundesweit sind es weit über 40 Prozent. Berlin war lange Zeit der Fluchtpunkt für diejenigen, die alternativ oder günstig – am besten sogar beides – wohnen oder der Einberufung zum Dienst an der Waffe entgehen wollten. Wenn es irgendwo eine echte Szene gegeben hat, dann in der Millionenstadt mitten in Ostdeutschland.
Mit dem Fall der Mauer wurde Berlin wachgeküsst. Nahezu „alles“ strömte nach Berlin. Firmensitze wurden an die Spree verlagert, Filialen gegründet, irrsinnige Prognosen hinsichtlich Preis- und Bevölkerungsentwicklung aufgestellt. Und tatsächlich, die Preise stiegen bis Mitte der 90er-Jahre vor allem in Mitte rund um den Potsdamer Platz auf 12.000 D-Mark pro Quadratmeter. Am Ende der Skala: die einfachen Lagen wie Kreuzberg, Neukölln oder Prenzlauer Berg mit maximal 6.000 D-Mark pro Quadratmeter.

Fast überall ist Bewegung im Markt
Doch das war es auch schon. Am Ende konnte die Hauptstadt die großen Erwartungen lange Zeit nicht erfüllen. Im Gegenteil, die Bevölkerungsentwicklung und Neuansiedlungen von Unternehmen waren rückläufig und die Preise lagen zum Beispiel 2003 in der Spitze gerade einmal bei 5.500 Euro pro Quadratmeter. Von einem positiven Ende war man Mitte der 2000er weit entfernt.
Das lag nicht zuletzt auch an den Berlinern selbst. Für die Veränderungen, die es in Deutschlands einzig wahrer Metropole gibt, zeichnen die Zugezogenen verantwortlich. Ob nun aus dem Bundesgebiet oder mitunter aus dem Ausland – es sind die Neu-Berliner, die an diese Stadt glauben und in sie investieren. Das zeigt auch das Beispiel der aktuellen, womöglich ersten nachhaltigen Nachkriegsentwicklung. Fast 300.000 Menschen zog es im Saldo seit 2010 in die Hauptstadt, Tendenz weiter steigend. Die Überzeugung, der Glaube an Berlin ist mittlerweile zurück. Rund 20 Jahre nach der ersten Euphoriewelle – etwa 2015 – begann das, was man damals prognostiziert hatte. Berlin boomte plötzlich. Und mit der Nachfrage kam auch das Geld in die Stadt. Käufer, die Mitte nicht nur für das unterbewerteste Zentrum in Europa hielten, sondern auch hier wohnen wollten. Dass es nötig war, dass massenhaft und flächendeckend Geld in den Markt investiert wurde, da sind sich fast alle einig. Jetzt beginnt es, sich zu rentieren.
Ausgenommen von den Plattenbausiedlungen in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen ist in jedem Quartier Berlins Bewegung im Markt. Da nehmen sich selbst imageschwache Lagen wie Lichtenberg oder Spandau nicht aus. Mitunter haben einzelne Lagen in den vergangenen paar Jahren „fast eruptive Preissteigerungen“ hinter sich, wie es ein Experte ausdrückt. Zwar rechnet man derzeit mittelfristig nur noch mit moderaten Anstiegen, doch von einer Stagnation oder Preisrückgängen geht in der Hauptstadt niemand aus. Die Folge: Der Berliner hadert und muss sich mitunter notgedrungen von seinem gewohnten Kiez verabschieden, weil der Neu-Berliner ganz andere Preise gewohnt ist und die in Berlin anstandslos bezahlt. Nicht selten ein echter Verdrängungswettbewerb.
Immobilien in Berlin: Lagen und Preise

Steigende Preise, geringes Angebot
Auch in Berlin rücken "Alternativstandorte“ zu den Toplagen in den Fokus der Käufer. Wie in anderen Metropole auch meist aus der Not heraus
Willkommen in der Realität
Und hier zeigt sich dann das ganze Ausmaß besagter nachhaltiger Entwicklung: Billig war gestern. Während sich noch vor fünf Jahren wirklich jeder innerhalb der Stadtgrenzen Berlins sein Stück Heimat leisten konnte (auch wenn der Standort womöglich nicht ganz der war, den er gern gehabt hätte), geschieht momentan etwas, das in jeder anderen deutschen Großstadt seit Jahrzehnten passiert – die zunehmende Besiedelung des S-Bahnbereichs im direkten Umland. Nicht nur, dass sich Käufer (aber auch Mieter) mit ganz neuen innerstädtischen Standorten auseinandersetzen müssen, um in ihrem Preisrahmen zu bleiben, andere müssen in die Peripherie ausweichen. Oranienburg, Falkensee oder Bernau werden als neue Ziele fokussiert – Adressen, die man bislang in den Gesprächen mit Maklern nie gehört hat. Hinzu kommt, dass in den vergangenen zehn Jahren deutlich zu wenig „normaler“ Wohnungsbau entstanden ist. Zu viele Bauträger haben sich auf „Luxus“ gestürzt. Fazit: Willkommen in der Realität.
Dass Berlin jedoch noch in den Kinderschuhen steckt, was die preisliche Entwicklung angeht, bemerkt man an den exorbitant großen Unterschieden. Einerseits berichten die Experten davon, dass man unter 3.500 oder 4.000 Euro pro Quadratmeter „nichts Vernünftiges“ mehr bekäme, doch es gibt eben auch noch die Angebote für 2.000 Euro – ebenso wie den teuersten Quadratmeter, der 2016 vom Gutachterausschuss mit knapp 15.000 Euro identifiziert wurde (siehe Seite 72). Die Diskrepanz zwischen den einzelnen Lagen ist geradezu gigantisch. Doch das ändert sich gerade, bzw. es relativiert sich zunehmend. Denn während die Preisanstiege in der Spitze deutlich an Fahrt verloren haben, holen die B- und C-Lagen im Bereich unter 4.000 Euro pro Quadratmeter munter auf. Allerdings kommt es hier, wie schon immer in Berlin, sehr auf den Mikrostandort an.

Der Speckgürtel als Alternative
Ein echtes Problem sind offensichtlich die Vorstellungen der Verkäufer. Waren Mitte der 90er-Jahre noch die Käufer in Goldgräberstimmung, sind es derzeit die Besitzer, die – ungeachtet der Qualität ihrer Immobilie – denken, sie säßen auf einer Goldader. Kaum ein Experte, der nicht davon berichtet, dass das Gros der Verkäufer gern die Preissteigerungen der kommenden zehn Jahre jetzt noch eingestrichen hätte. Keine leichte Aufgabe für einen Vermittler. Insbesondere dann nicht, wenn kaum Angebot auf dem Markt ist, weil niemand jetzt wirklich freiwillig verkaufe, heißt es. Ein Makler lässt sich sogar zu der Aussage hinreißen, dass es nicht selten Preisvorstellungen gebe, die sich trotz der rasanten Steigerungen der vergangenen Jahre absolut nicht realisieren lassen. Man habe einen Verkäufer gehabt, berichtet er, der sein Objekt seit fünf Jahren anbieten würde und den Preis in der Zwischenzeit von 1,8 Millionen auf 2,6 Millionen Euro nach und nach angehoben habe. Und das mit dem Argument, die Preise würden doch steigen.
Wohl dem, der sich nicht auf die Metropole festlegen muss, denn auch die Region wächst, nur haben die teils extremen Preissteigerungen das Umland noch nicht erreicht. Im Häuserbereich gibt es in den Lagen rund um die S-Bahn-Haltepunkte noch die so genannten Handwerkerobjekte ab 150.000 Euro, und gute Bestandsobjekte in vernünftigem Zustand sind unter 350.000 Euro zu bekommen. Ausnahme ist zumeist der Südwesten, der sich schon immer eher auf Berliner Preisniveau bewegte.
Wer sich die Hauptstadt nicht mehr leisten kann, zieht eben in den Speckgürtel – zu (noch) deutlich günstigeren Preisen. Hier hat Berlin im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten den größten Nachholbedarf.